Deutschland: Populäre Rechte

Der Rassismus aus der Mitte

9. März 2016 | Fremdenfeindliche Einstellungen gab es bei einem Teil der deutschen Bevölkerung schon immer. Jetzt treten sie zutage.

Es sieht nicht so aus, als würde der völkisch-nationale Spuk so schnell wieder verschwinden. Bei den hessischen Kommunalwahlen am vergangenen Wochenende hat die rechte Partei Alternative für Deutschland (AfD) aus dem Stand über dreizehn Prozent der Stimmen geholt. Und bei den bevorstehenden Landtagswahlen in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt wird ihr überall ein zweistelliges Prozentergebnis prognostiziert: Im Südwesten liegt sie laut Umfragen gleichauf mit der SPD (dreizehn Prozent), in Ostdeutschland dürfte sie die SozialdemokratInnen sogar überholen. Ab nächster Woche ist die Partei – die 2013 den Einzug in den Bundestag nur knapp verfehlt hatte – in der Hälfte aller Länderparlamente präsent.

Was ist da los? Ein Blick auf die baden-württembergischen Verhältnisse zeigt, wo die AfD steht. Sie kommt nicht vom rechtsradikalen Rand, der in Deutschland oft in bildungsfernen und sozial schwachen Schichten vermutet wird, sondern aus der Mitte der Gesellschaft. Fast alle der vierzehn Mitglieder des AfD-Landesvorstands haben ein Studium absolviert, fünf sind promoviert, zwei haben eine Habilitation vorzuweisen, heisst es in einer Studie zur AfD, die von der Otto-Brenner-Stiftung publiziert wurde.

Rolle rückwärts

Es sind mithin gut situierte Leute, die im Wahlprogramm davor warnen, dass «Hunderte Millionen Armutsflüchtlinge nach Deutschland» drängen, dass das «Überleben des eigenen Volkes» auf dem Spiel stehe, und die eine Steuersenkung für Wohlhabende verlangen, den Mindestlohn abschaffen wollen, den Klimawandel in Abrede stellen, die Gleichstellung der Geschlechter für fatal halten, für Zwangsarbeit plädieren und die – wie AfD-Chefin Frauke Petry – die Grenzen notfalls mit Schusswaffen sichern wollen.

Nicht nur die zahlenmässig überschaubaren Neonazi-Gruppen haben sich radikalisiert, die Verrohung der Gesellschaft in Taten und Worten wird auch von Bürgerlichen vorangetrieben. Dazu kommt, dass in Deutschland seit langem ein Teil der Bevölkerung rechtsradikale Positionen vertritt. Rund ein Fünftel der Gesellschaft sei fremdenfeindlich eingestellt, hatte 2014 eine Langzeituntersuchung der Universität Leipzig ergeben. Der Rassismus, der sich jetzt parteipolitisch Bahn bricht, ist also kein neues Phänomen. Er hat angesichts der vermeintlichen Bedrohung von Flucht und Zuwanderung in Pegida, der AfD und anderen rechten Gruppierungen eine neue Ausdrucksform gefunden. Und sich dadurch verstärkt.

Desinteresse der Eliten

Der Bielefelder Erziehungswissenschaftler Wilhelm Heitmeyer warnt schon lange vor der zunehmenden Spaltung der Gesellschaft. Im Zuge der rot-grünen Arbeitsmarktreformen (Hartz IV) und der Finanzmarkt-, Euro- und Flüchtlingskrisen hätten Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und die Abwertung der Armen deutlich zugenommen. Über neunzig Prozent der Bevölkerung, so der Befund seiner Forschungen, erwarten eine Zunahme von Armut und sozialem Abstieg – und grenzen sich nach unten ab. Der «Jargon der Verachtung» und die Gewaltbereitschaft seien in dem Masse gestiegen, wie sich die Hoffnung auf Gerechtigkeit und Fairness verflüchtigt habe, auch beim Bürgertum. Für die Ergebnisse seiner Untersuchungen, so Heitmeyer, hätten sich «die verantwortlichen Eliten in den Bundesregierungen» aber leider «überhaupt nicht interessiert». Grosses Desinteresse zeigte vor vielen Jahren auch eine Jugendministerin namens Angela Merkel, wie Heitmeyer im November dem Deutschlandfunk erläuterte.

Statt umzusteuern, statt eine sozial gerechtere Politik zu betreiben oder zumindest eine weitere Umverteilung von unten nach oben auszuschliessen, tragen die grossen Parteien zur Orientierungslosigkeit bei – und übernehmen die Parolen der Rechten. In Ostdeutschland, insbesondere in Sachsen, hat die CDU ein Viertel Jahrhundert lang die fremdenfeindliche Stimmung verharmlost; statt gegen rechtsradikale Umtriebe vorzugehen, schikanierten dort die Behörden die AntifaschistInnen. CSU-Chef Horst Seehofer wettert – weil die Regierung die Grenzen nicht genügend sichere – gegen den «Unrechtsstaat» Deutschland (eine Vokabel, die bisher dem Naziregime vorbehalten war). In Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz distanziert sich die CDU von Angela Merkels Kurs. Und mit den jüngst verabschiedeten Asylpaketen kam die Grosse Koalition vielen Forderungen der AfD entgegen.

Noch spricht Merkel von «offenen Grenzen». Auf dem EU-Gipfel am Montag aber akzeptierte sie die Abschottung Europas und die Schliessung der Balkanroute. Sie setzt darauf, dass «die Zustimmung für die Parteien, die nur vom Protest und vom Nein gegen etwas leben, zurückgehen» wird, wie sie vergangene Woche in einem Zeitungsinterview sagte. Das haben beim französischen Front national auch viele geglaubt. (pw)