Deutschland: Wieder eine Grosse Koalition

Die SPD kämpft sich tapfer nach unten

24. Oktober 2013 | Der SPD-Parteikonvent am Wochenende beschloss Verhandlungen mit der Union. Das ist angesichts der geringen politischen Unterschiede kein Wunder – und doch falsch.

Es ist schon erstaunlich, mit welchem Gleichmut der neoliberale Flügel der deutschen Sozialdemokratie den Weg in Richtung Kleinpartei beschreitet. Da hat die SPD das zweitschlechteste Bundestagswahlergebnis aller Zeiten eingefahren – und macht weiter wie gehabt. Während die Grünen nach ihrer Schlappe immerhin einen Teil der Führung auswechselten, liess sich Frank-Walter Steinmeier vom Spitzentrio schon zwei Tage nach der Wahl wieder zum Fraktionschef wählen, und auch der Parteivorsitzende Sigmar Gabriel kam nie ins Wanken. Ursachenforschung? Fehlanzeige.

Und gerade vier Wochen nach der Wahl verständigten sich jetzt die Delegierten am Parteikonvent mit grossem Mehr auf eine Grosse Koalition mit den Unionsparteien CDU und CSU. Zwar sollen die Mitglieder noch mitsprechen dürfen, aber am Ende von langen Koalitionsverhandlungen dürfte der Entscheid nur noch Formsache sein. Und so wird sie vor Weihnachten wohl stehen: die stärkste Regierung in der deutschen Nachkriegsgeschichte. Die Koalitionsparteien stellen fast achtzig Prozent der Bundestagsmandate; die Hauptoppositionspatei Die Linke und die Nebenopposition von den Grünen kommen auf rund zwanzig Prozent.

Das ist zu wenig für eine wirksame Kontrolle des Regierungsgeschäfts. Denn wer einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss (wie etwa den über die Zusammenarbeit von Verfassungsschutz und Neonazis) einsetzen, eine Sondersitzung des Parlaments beantragen, Gesetze vom Bundesverfassungsgericht überprüfen oder ExpertInnen öffentlich anhören lassen will, braucht ein Viertel aller Stimmen. Und vom Bundesrat, der zweiten Kammer, käme – anders als jetzt – ebenfalls kein Widerspruch. Die Auswirkungen dieser Dominanz sind gravierend, weil künftig auch noch das bisschen an Demokratie, das den parlamentarischen Institutionen blieb, verschwindet.

Dafür aber, argumentiert die SPD, könne man jetzt endlich wieder mitgestalten – und beispielsweise einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn durchsetzen. Aber braucht es dafür eine Grosse Koalition? Den könnten SPD, Grüne und der linke Flügel der Sozialdemokratie – die Linkspartei – auch jetzt schon verabschieden; schliesslich haben sie im Bundestag eine Mehrheit von 320 zu 311 Stimmen. Die Linke unternahm einen Vorstoss in dieser Richtung, doch die SPD blockt ab. Lieber lässt sie sich auf Verhandlungen mit der Union ein, die eine noch tiefere Marke als die ohnehin schon viel zu niedrig angesetzten 8,50 Euro in der Stunde – monatlich knapp 1400 Euro brutto – anpeilen wird.

Mehr als einen Mindestlohn wird und will die SPD jedoch nicht durchsetzen. Auf Steuererhöhungen für Reiche, im Wahlkampf eine der SPD-Kernforderungen, hat die Parteispitze bereits verzichtet. Andere Fragen wird sie in den Koalitionsverhandlungen nicht ansprechen. Eine humanitäre Flüchtlingspolitik? Das interessiert niemanden. Militäreinsätze im Ausland? Hat schon Rot-Grün praktiziert. Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit in Europa? War auch während des ausgesprochen national dominierten und bornierten Wahlkampfs kein Thema. Steuerflucht bekämpfen, Spekulation unterbinden, gefährliche Finanzprodukte verbieten, den maschinellen Hochfrequenzhandel einschränken? Aber nicht doch in der Realität!

Und so stolpert die SPD als Juniorpartner in Gespräche mit einer Kanzlerin, die seit dem 22. September vor Kraft kaum laufen kann – und schon deswegen keine grossen Zugeständnisse machen muss, weil ihr keine abverlangt werden. Kein Kurswechsel bei der exportfixierten Wirtschaftspolitik, die auf Kosten anderer europäischer Ökonomien und der dortigen Bevölkerung geht und die Eurokrise überhaupt erst auslöste. Keine Abkehr von der Austeritätspolitik, die während der Grossen Koalition 2005–2009 mithilfe der SPD in Form der Schuldenbremse im Grundgesetz verankert wurde. Keine Kehrtwende in der Politik des Sozialabbaus, die Rot-Grün mit der «Agenda 2010» begonnen hatte und die von der letzten Grossen Koalition mit der Anhebung des Renteneintrittsalters von 65 auf 67 Jahre fortgesetzt wurde. Dafür bekam die SPD bei der Wahl 2009 (Absturz auf 23 Prozent) ja auch die Quittung. Gelernt hat sie daraus nichts.

Alternativen wären durchaus denkbar gewesen: eine Minderheitsregierung der Wahlsiegerin Angela Merkel zum Beispiel, oder eine schwarz-grüne Koalition. In ersten Gesprächen waren sich UnterhändlerInnen der Union und der Grünliberalen jedenfalls recht nahegekommen. Nur eine Variante kam trotz numerischer Überzahl nie infrage – die eines rot-grün-linken Bündnisses. Und zwar nicht nur deshalb, weil SPD und Grüne eine Kooperation mit der Linkspartei kategorisch ausschlossen. Sondern auch, weil für einen Politikwechsel Mandatsmehrheiten nicht genügen. Dafür braucht es auch ausserparlamentarische Koalitionen und die Kooperation mit Bewegungen, Initiativen, gewerkschaftlichen Basisgruppen. Davon jedoch wollen SPD und Grüne nichts wissen, weil sie nur auf die gesellschaftliche Mitte starren. Die hat aber noch nie Veränderungen hervorgebracht; der Anstoss zu politischen Umbrüchen kam immer von den Rändern her.

Nun wird möglicherweise ein grosskoalitionärer SPD-Finanzminister demnächst der Bevölkerung erklären müssen, weshalb während seiner Amtszeit ein Schuldenschnitt für Griechenland unumgänglich war und deswegen die Mehrwertsteuer erhöht werden muss. Das geschieht der Partei recht. (pw)