Baden-Württember: CDU verliert Landtagswahl

Oben bleiben - mit Druck von unten

29. März 2011 | Fukushima war sicherlich ein wesentlicher Grund für die krachende Niederlage der baden-württembergischen CDU. Aber es gab noch andere Faktoren.

Am Bauzaun beim Stuttgarter Hauptbahnhof hängt zwischen den vielen witzigen Notizen und Aufrufen seit Monaten ein handgeschriebenes Schild: «Die schnellen Herrscher sind's, die kurz regieren.» Da hatte jemand Friedrich Schillers «Wilhelm Tell» zitiert und – damit auch alle begreifen, wer gemeint ist – ein Bild von Stefan Mappus hingemalt. Ein treffender Spruch. Der bisherige Ministerpräsident von Baden-Württemberg war ja auch ein besonders eiliger Regent gewesen: Im September wollte er die Proteste gegen das milliardenteure Immobilien- und Tiefbahnhofprojekt Stuttgart 21 (S21) mit einem massiven Polizeieinsatz unterbinden. Im Oktober ging ihm die Laufzeitverlängerung der deutschen Atomkraftwerke nicht zügig und nicht weit genug. Im Dezember kaufte er in grosser Hast und am Parlament vorbei 45 Prozent des drittgrössten deutschen Atomkonzerns EnBW. Und dann, nach Fukushima, ruderte er hektisch zurück, aufgeregter noch als Bundeskanzlerin Angela Merkel. Geholfen hat die plötzliche Kehrtwende nicht: Am Sonntag wurde CDU-Ministerpräsident Mappus nach gerade mal dreizehn Monaten aus dem Amt gewählt.

Seine Abwahl ist eine Sensation, nicht nur für Baden-Württemberg. Zum ersten Mal seit über 57 Jahren wird im vergleichsweise wohlhabenden und konservativen Südwesten Deutschlands kein CDUler die Landesregierung anführen. Und zum ersten Mal überhaupt wird ein Grüner an der Spitze eines deutschen Bundeslandes stehen. Landauf, landab, vom Hohenlohischen im Norden bis zum Südschwarzwald, von Mannheim bis ins tiefschwarze Oberschwaben verdoppelten und verdreifachten sich die Stimmenanteile der vorwiegend betulich-konservativen Ökopartei, die zu ihrer eigenen Verblüffung neun Direktmandate gewann. In Stuttgart konnten grüne KandidatInnen – nicht zuletzt wegen S21 – den Schwarzen gleich drei von vier Wahlkreisen abnehmen, in Tübingen, Heidelberg und Konstanz bauten die Grünen ihren Vorsprung noch aus, und in Freiburg sind sie mit über vierzig Prozent inzwischen die dominierende Partei. Wann hat es so was schon mal gegeben?

Das Wahlergebnis entspricht der Stimmung im Land. «Mappus weg!» war schon vor Monaten die Standardparole auf vielen Kundgebungen gewesen, genauso häufig skandierten DemonstrantInnen das Wort «Lügenpack!», und dann kam vor drei Wochen auch noch die Anti-AKW-Forderung «Abschalten!» hinzu. Knappe Begriffe, denen ein Befreiungsschlag an der Urne folgte. Aber hat Berlin die Botschaft verstanden? Und will die künftige grün-rote Landesregierung in Stuttgart überhaupt einen Politikwechsel? Gewiss: Die schwarz-gelbe Bundesregierung wird nach diesen Wahlergebnissen (auch in Rheinland-Pfalz werden die Grünen dank einer Verdreifachung ihres Stimmenanteils demnächst mitregieren) kaum zu ihrer früheren Atompolitik zurückkehren. Das ursprünglich auf drei Monate angelegte AKW-Moratorium ist wohl definitiv; die sieben vorübergehend stillgelegten Atommeiler werden aller Wahrscheinlichkeit nach nicht mehr ans Netz gehen – da mag die Atomindustrie noch so toben.

Aber kommt es auch zu einer Änderung des politischen Stils? In Baden-Württemberg verlangten die WählerInnen nicht nur das Ende der Atompolitik, ihr Votum richtete sich auch gegen eine Herrschaftskultur, die die Bevölkerung lange Zeit in Unmündigkeit hielt. So haben die politisch Verantwortlichen das Projekt S21 über Jahre hinweg mit unzähligen Gutachten bestellter ExpertInnen als sinnvolles Unterfangen verkauft - bis jemand nachrechnete, immer mehr Leute den Nutzen des geplanten Kellerbahnhofs in Zweifel zogen und eine Bewegung mit der Forderung «Oben bleiben» entstand. Die SPD, Juniorpartnerin in der neuen Regierung, glaubt noch immer an S21. Auch Winfried Kretschmann, der künftige Ministerpräsident, wollte sich immer wieder auf Kompromisse einlassen – und wäre sie wohl auch eingegangen, wenn ihn die Basis nicht zurückgepfiffen hätte.

Auch in der Energiepolitik ist noch vieles unklar. Mit seinem EnBW-Deal hat Mappus der neuen grün-roten Regierung ein trojanisches Pferd hinterlassen. 4,7 Milliarden Euro blätterte er für den Landesanteil am AKW-Betreiber hin und nahm dafür Kredite auf. Seit absehbar ist, dass zumindest zwei der vier EnBW-Atommeiler für immer stillliegen werden (die Reaktoren Neckarwestheim 1 und Philippsburg 1), sinkt der Wert des Konzerns beständig. Da beim Kauf zusätzlich vereinbart wurde, dass alle anderen EignerInnen des Stromunternehmens (es sind vorwiegend Kommunen und Landkreise) bis Anfang April ihre Anteile zum ursprünglichen Preis an das Land verkaufen dürfen, könnte die Sache richtig teuer werden. Viele Gemeinden haben bereits verkauft; unter Umständen muss der Landeshaushalt eine Neuverschuldung in Höhe von zehn Milliarden hinnehmen. Die neue grün-rote Regierung ist dafür zwar nicht verantwortlich, aber sie wird die Folgen schultern müssen – und hinter verschlossenen Türen wohl ebenfalls Deals abschliessen.

Dabei sind Offenheit und Transparenz angesagt, und eine glaubhafte Politik. Am letzten Samstag demonstrierten in Berlin, Hamburg, Köln und München 250 000 für den sofortigen Ausstieg aus der Atomenergie, so viele wie nie zuvor. Und den wollen sie auch durchsetzen. Jedenfalls verabredeten sich so manche bei der Rückfahrt im Demo-Bus nach Oberschwaben für die nächsten Aktionen. Selbst, wenn Mappus stürzen sollte, sagten sie am Vorabend der Wahl, «werden wir weiter demonstrieren, wenns sein muss auch gegen Kretschmann». Selbst die, die am nächsten Tag den Grünen ihre Stimme gaben, wissen also, worauf es ankommt: auf sie und auf ihren Druck von unten. Schon am Montag standen sie mit Mahnwachen wieder auf der Strasse. Und in Stuttgart beteiligten sich erneut tausende an der 69. Montagsdemonstration. Dieses Beharrungsvermögen ist neu in der deutschen Politik. (pw)