Deutschland: Die vorsichtige Rebellion der SPD-Basis

Etwas linke Wärme

1. November 2007 | Die SPD will wieder nach links. Aber schafft sie den Kurswechsel? Und nimmt ihr den jemand ab?


Die Spitze der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD) hatte schon recht gehabt, als sie im Frühsommer plötzlich aufs Tempo drückte. Die Teilprivatisierung der Deutschen Bahn AG (DB) könnte am SPD-Parteitag im Herbst scheitern, warnten die sozialdemokratischen Kabinettsmitglieder ihre KoalitionspartnerInnen von CDU und CSU. Anfang Jahr hatten die Regierungsparteien noch um das Verkaufsmodell gestritten: CDU/CSU forderten die Trennung von Schienennetz und Bahnbetrieb, die SPD und DB-Chef Hartmut Mehdorn plädierten für einen Verbleib der Infrastruktur beim Bahnunternehmen. Als dann Ende Juli endlich ein fauler Kompromiss gefunden wurde, legten sich allerdings die Ministerpräsidenten der Länder quer: Sie fürchten um den Bestand des Streckennetzes auf dem Land. Und so landete das Thema dann doch auf der Tagesordnung des SPD-Parteitags, der am vergangenen Wochenende in Hamburg abgehalten wurde. Dort katapultierte die empörte SPD-Basis den Privatisierungsplan der Koalitionsregierung in Richtung nächste Bundestagswahl. Und schoss ihn damit aller Wahrscheinlichkeit nach ab.

Lange hatte die Parteispitze um den Vorsitzenden Kurt Beck mit den Delegierten ringen müssen, die zu grossen Teilen die Bahnprivatisierung grundsätzlich ablehnten. Sie argumentierten, sie drohten, sie stellten Ultimaten, bis am Schluss die Basis ein Modell abnickte, demzufolge über ein Viertel der Aktien einer privatisierten Bahn als stimmrechtslose Vozugsaktien (sogenannte Volksaktien) an KleinanlegerInnen gehen müssen. Ziel dieser Klausel: «Private Investoren», so heisst es in dem verabschiedeten Beschluss, «dürfen keinen Einfluss auf die Unternehmenspolitik ausüben».

Das Ende der Bahnprivatisierung

Das war kein grosser Sieg für die PrivatisierungsgegnerInnen – denn noch immer kann die DB verkauft werden. Aber der Beschluss, an den sich die sozialdemokratischen MinisterInnen halten müssen, macht einen Börsengang schwer. Welche BürgerInnen werden schon Geld für Anteile eines Unternehmens ausgeben wollen, das ihnen bereits gehört? Und wer steckt nach den desaströsen Erfahrungen mit der «Volksaktie» der Deutschen Telekom noch Erspartes in ein ähnliches Projekt? Das Beste an dem Parteitagsentscheid aber ist, dass die ChristdemokratInnen den Plan rundweg ablehnen. Es wird also wieder verhandelt werden müssen in der Koalition, und je länger die Verhandlungen dauern, desto näher rückt die Bundestagswahl 2009. Und im Wahlkampf dürfte das Thema endgültig sterben.

Denn der wird bereits heute geführt (Anfang 2008 stehen wichtige Landtagswahlen an) – und das in einem ganz anderen Klima als noch vor zwei Jahren. Schon nach der Wahl 2005 wäre rein rechnerisch eine rot-rot-grüne Koalition von SPD, der Linkspartei und den Grünen möglich gewesen. Die CDU-Vorsitzende Angela Merkel hatte als Erste die Konsequenzen daraus gezogen und als Bundeskanzlerin auf Teile ihres rabiat neoliberalen Wahlprogramms wie Flat Tax und Kopfbeiträge im Gesundheitssystem verzichtet. Aber sie (und ihre sozialdemokratische Koalitionspartnerin SPD) hält an der Agenda 2010 ihres sozialdemokratischen Vorgängers Gerhard Schröder fest.

Für die SPD hatte dieser Kurs fatale Folgen. Die WählerInnen und Mitglieder liefen ihr in Scharen davon. Sie konnten immer weniger Unterschiede zwischen den konservativen Unionsparteien und ihrer SPD feststellen, die einst als Garantin für soziale Gerechtigkeit gegolten hatte. Von Schröders erstem Wahlsieg bis heute verloren die SozialdemokratInnen fast ein Drittel ihrer Mitglieder: 1998 waren es 775.000 gewesen, Ende September zählte die Parteizentrale im Willy-Brandt-Haus noch 545.000, fast die Hälfte davon im Rentenalter. Ähnlich bergab ging es mit den Bundestagswahlresultaten: von 40,9 Prozent (1998) über 38,5 (2002) auf 34,2 (2005). Bis vor einer Woche lag die SPD in Umfragen bei rund 28 Prozent.

Die Partei zahlte die Zeche für eine Politik der Umverteilung von unten nach oben – und steht damit nicht allein. Auch die britische Labour-Partei hatte nach Tony Blairs Amtsantritt 1997 und im Zuge seiner thatcherschen Privatisierungs-, Umverteilungs- und Kriegspolitik viel verloren: die Hälfte ihrer Mitglieder und ein Gutteil ihrer StammwählerInnen. Blairs Abgang Ende Juni verhalf der Partei zwar zu einem Zwischenhoch. Aber seit erkennbar ist, dass dessen Nachfolger Gordon Brown Blairs Politik in wesentlichen Punkten fortsetzt und die britischen Konservativen lahmlegen will, indem er deren politischen Inhalte übernimmt, befindet sich Labours Popularität wieder im Sturzflug.

Sozialdemokratische Linkspartei

Labour muss eine linke Konkurrenzpartei nicht fürchten – das britische Wahlsystem macht neuen Parteien den Einzug ins Unterhaus ungemein schwer. Die SPD hingegen spürt die neue Linkspartei, die laut Umfragen mittlerweile 10 Prozent der deutschen Bevölkerung wählen wollen und bei der 23 Prozent die Interessen der ArbeiterInnen und kleinen Angestellten am besten aufgehoben sehen. Schlimmer noch: Durch die Linkspartei hat die SPD auch ihren Rückhalt in der mittleren Funktionärsebene der Gewerkschaften und bei vielen ehrenamtlich engagierten GewerkschafterInnen verloren, die bis vor ein paar Jahren stets für die «Arbeiterpartei» getrommelt hatten.

Die im Kern sozialdemokratische Linkspartei vertritt zudem in zentralen Fragen eine Mehrheitsposition: Weit über die Hälfte der Bevölkerung lehnt den Afghanistaneinsatz der Bundeswehr ab, verurteilt die Finanzpolitik der schwarzroten Regierung (Senkung der Unternehmens- und Reichensteuern, Erhöhung der Mehrwertsteuer auf neunzehn Prozent), will keine Bahnprivatisierung, ist erzürnt über die Anhebung des Rentenalters auf 67 Jahre und befürwortet den von der Linken schon lange geforderten Mindestlohn. Schröders Arbeitsmarktreformen (insbesondere Hartz IV) stossen ebenfalls auf viel Widerstand. «Der Zeitgeist», schreibt selbst das eher neoliberal gestrickte Wochenmagazin «Der Spiegel», «ist so links wie schon lange nicht.»

Gut nur für die Seele

Und so zogen Parteichef Beck, die SPD-Landesvorstände und ein grosser Teil der Basis die Reissleine. «Wir brauchen mehr Wärme», sagt Beck, seit er mitbekommen hat, dass das Thema soziale Gerechtigkeit eine immer grössere Rolle spielt in der Bevölkerung, die von dem Aufschwung der Aktien, der Exportwirtschaft, der Profite nichts hat. Sondern sich – und das war ja auch der Zweck und die Absicht der Hartz-IV-Gesetze gewesen – zunehmend in Niedriglohnjobs für vier oder fünf Euro in der Stunde abstrampeln muss.

Die grosse Wende ist am Parteitag allerdings ausgeblieben. Die Medien berichteten hinterher zwar von einem «Linksrutsch», substanziell aber hat sich wenig geändert. Gewiss: Die SPD-Regierungsfraktion um Vizekanzler Franz Müntefering und die «Stones» – wie die schröderschen Aussen- und Finanzminister Walter Steinmeier und Peer Steinbrück parteiintern heissen – haben eine Niederlage hinnehmen müssen. Aber nur von der Stimmung her.

Inhaltlich hat ihnen die Delegiertenversammlung, bei der vor allem die Seele der Partei aufpoliert wurde, nur kleine Kiesel in den Weg geschoben. Dass älteren Arbeitslosen das Arbeitslosengeld ein paar Monate länger ausbezahlt werden soll, hatten schon CDUler gefordert. Die vom Parteitag verabschiedete Forderung nach einem Mindestlohn in der Höhe von gerade mal 7,50 Euro in der Stunde ist ebenfalls nicht neu – und wird in den kommenden Koalitionsgesprächen sicherlich verwässert werden. Und mit der in Autodeutschland ohnehin unrealistischen Idee einer Tempobegrenzung auf 130 Stundenkilometer kippte die SPD sogar einen weitergehenden Beschluss, der bis zum letzten Wochenende galt: Schon 1985 hatte sie Tempo 100 gefordert (und die damalige Entscheidung nie revidiert).

Weiter Weg zurück

Mittel- und langfristig wird die Seelenmassage allerdings wenig bewirken. WählerInnen, die das Vertrauen in eine Partei verloren haben, weil sie sich von ihr verraten sehen und ihren Aussagen nicht mehr glauben, lassen sich nicht schnell überzeugen. Auch dann nicht, wenn die Medien ein anderes Bild zeichnen. Vor allem in dieser Hinsicht war der SPD-Parteitag ein Erfolg gewesen, ein Kommunikationserfolg: Schon lange hatte ein SPD-Parteitag kein so grosses mediales Echo gehabt.

Doch unten ändert sich ein Image nicht so rasch – zumal die Verantwortlichen für die gegenwärtige SPD-Politik weiterhin durch dieselben Medien geistern: Schröder als hoch dotierter Gasprom- und Ringier-Berater; sein langjähriger Wirtschafts- und Finanzminister Wolfgang Clement als gut bezahlter Direktor einer Leiharbeitsfirma, die aus der Arbeitslosigkeit Profite schlägt. Die SPD hat noch einen weiten Weg vor sich, wenn sie zurück an die Basis will.n Räumung des Schlossparks etwa. Doch dafür muss die Bahn erst einmal ihre Sachen auf die Reihe kriegen. (pw)