Wirtschaftspartnerschaft: Europas Neokolonialismus

«Wo sollen die Jungen Arbeit finden?»

18. Oktober 2018 | Man werde Afrika unter die Arme greifen, heißt es in Regierungsverlautbarungen, die Armut bekämpfen und damit die Migration eindämmen. Getan wird aber das Gegenteil.

Unsere Gesellschaft ist in den letzten Jahrzehnten – seit des Siegeszugs des Neoliberalismus – in eine gefährliche Schieflage geraten:

● Weltweit hat die Ungleichheit skandalöse Ausmaße erreicht. Die Finanzwirtschaft und die Superreichen konnten die große Krise, die sie selber verursachten, problemlos bewältigen, weil wir die Kosten dafür zu tragen hatten. Und sie dürfen grad so weitermachen.

● Die Regierung unterstützt auch hierzulande den klimazerstörerischen Kohleabbau bis ins überübernächste Jahrzehnt hinein.

● Wir werden von den Konzernen – beispielsweise der Autoindustrie – nach Strich und Faden belogen.

● Im reichen Deutschland nimmt die Armut dramatisch zu.

● Weltweit schuften Menschen unter sklavenartigen Bedingungen für das, was wir Wohlstand und Freiheit nennen. 4,3 Milliarden Menschen leben in auszehrender Armut, die Zahl wächst seit Jahrzehnten.

● Und dann darf sich auch noch der braune Mob austoben.

Nicht genug also damit, dass die sogenannte Globalisierung im Namen des Kapitals überall ihre Opfer fordert (hierzulande wie im Globalen Süden), will jetzt auch noch die EU diese Globalisierung mitsamt ihren verheerenden Auswirkungen für alle Zeit festschreiben – in Form einer neuen Generation von Handelsabkommen. Über diese Abkommen verhandelt die EU nicht erst seit US-Präsident Donald Trump seine Art von nationalem Protektionismus ausgerufen hat. Nein, die EU-Kommission ist seit Jahren dabei, das – was sie Wettbewerbsfähigkeit nennt – zu steigern.

Rund zwanzig Abkommen sind in der Pipeline. Unterschriftsreif, aber noch nicht abgesegnet, sind die Wirtschafts- und Investitionsabkommen mit Kanada (CETA) und der Handelsvertrag mit Japan (JEFTA). Im Geheimen wird aber noch mit viel mehr Staaten verhandelt: mit Mexiko zum Beispiel, mit Indonesien, den Philippinen, Vietnam, Australien und Neuseeland, mit den Mercosur-Staaten Brasilien, Argentinien, Uruguay, Paraguay, auch mit Chile. Und nicht zuletzt mit afrikanischen Ländern.

Die neoliberale Globalisierung zementieren

All diesen Abkommen ist gemein, dass es dabei nur in zweiter Linie um Zölle geht; die sind vielfach vernachlässigbar und haben die Exportbesessenheit der deutschen Wirtschaft bisher nicht beeinträchtigt. Es geht um mehr. Beispielsweise darum, dass möglichst alle sogenannt nicht-tarifäre Handelshemmnisse beseitigt werden sollen. Darunter werden vor allem Standards verstanden, die in vielen Auseinandersetzungen erkämpft wurden. Standards beim Arbeitsschutz zum Beispiel, beim Verbraucherschutz, beim Umweltschutz. So sollen Fracking- und Gentechverbote und -moratorien fallen. So soll bewirkt werden, dass das in Europa geltende Vorsorgeprinzip – etwa bei Arzneimitteln und Chemikalien – zugunsten eines Risikoprinzips ausgehöhlt werden. Bisher ist es ja so, dass hierzulande neue Produkte getestet werden müssen, bevor sie auf den Markt dürfen. In anderen Staaten (etwa in Nordamerika) werden jedoch Produkte zuerst zugelassen und erst dann verboten, wenn sie nachweislich Schaden angerichtet haben. So wie das vor langer Zeit auch bei der Fall war – man denke nur an den Contergan-Skandal.

Es steht mithin alles auf dem Spiel: Unsere Ernährungssicherheit, der Naturschutz, das Klima, Standards am Arbeitsplatz. Und nicht zuletzt unsere Demokratie. Fast alle dieser geplanten Abkommen, auch CETA, enthalten zudem ein Sonderklagerecht für internationalen Konzerne. Diese sollen künftig Staaten, Regionen, auch Kommunen verklagen können, wenn neue Regeln zum Schutz von Menschen und der Natur die Profiterwartungen der Investoren beeinträchtigen.

Auf der Basis von ähnlichen Investitionsschutzklauseln (in bilateralen Handelsverträgen) hat beispielsweise der französische Konzern Veolia die ägyptische Regierung vor einem privaten Schiedsgericht auf Entschädigung verklagt, weil diese den gesetzlichen Mindestlohn erhöhte – und Recht bekommen. Ein ebenfalls privates Schiedsgericht bei der Weltbank verurteilte den Staat Ecuador zur Zahlung von 2,4 Milliarden US-Dollar an ein US-Unternehmen, weil die Regierung aufgrund des Widerstands von Indigenen Ölbohrungen untersagte. Und auf Basis solcher Investitionsschutzvereinbarungen will der schwedische Vattelfall-Konzern von der BRD rund 4,7 Milliarden Euro – wegen des Atomausstiegs. Das Urteil wird bis Ende Jahr erwartet.

Es würde zu weit führen, im Rahmen dieses Vortrags auf alle Abkommen eingehen. Deshalb nur ein paar Anmerkungen:

● Beim JEFTA-Abkommen (mit Japan) wurde der Schutz vor einer Privatisierung von Trink- und Abwasser nicht festgeschrieben.

● CEPA, der geplante Handelsvertrag mit Indonesien würde, falls umgesetzt, die Palmölgewinnung auf riesigen Plantagen multinationaler Konzerne intensivieren.

● Das geplante Mercosur-Abkommen fördert den Handel mit industriell erzeugtem Fleisch und vernichtet den brasilianischen Regenwald,

● Der CETA-Vertrag mit Kanada schafft eine sogenannte Regulatorische Kooperation, die Parlamente entmachtet.

Der fatale Binnenblick

Dazu kommen weitere Abkommen mit weitreichenden Folgen für uns alle: ● Das «Trade in Services Agreement» (TiSA), das den Handel mit Dienstleistungen liberalisieren und öffentliche Einrichtungen wie Wasserversorgung, Gesundheitswesen, Bildungssystem, den öffentlichen Verkehr privatisieren soll. Die Gespräche wurden nach Trumps Wahlsieg in den USA vorübergehend storniert, werden aber aller Wahrscheinlichkeit nach demnächst wieder aufgenommen.

● Dann ist da noch die Neuauflage des Transatlantischen Handels- und Investitionsabkommen TTIP, die von Trump und Jean-Claude Juncker im Juli vereinbart wurde. Nach Trumps Wahlsieg hatten viele das USA-EU-Abkommen für erledigt erklärt. Aber manchmal leben Totgesagte eben länger. Jedenfalls laufen die Verhandlungen wieder – hinter verschlossenen Türen natürlich. In einem ersten Schritt wurde vereinbart, dass die USA mehr Sojabohnen (ziemlich sicher gentechnisch veränderte) und verflüssigtes Gas liefern dürfen.

An die meisten dieser Abkommen haben wir einen Binnenmaßstab angelegt: Was machen «andere» mit uns? Was bedroht «unseren» Standards? Was kommt auf uns zu? Viel zu selten haben die globalisierungskritischen Initiativen hervorgehoben, was «unsere» Firmen anderswo anrichten. Dass bei TTIP zum Beispiel hiesige Firmen besonders an öffentlichen Ausschreibungen in den USA interessiert waren, dass es vor allem die deutsche Exportwirtschaft ist, die auf neue Abkommen drängt, dass es europäische Konzerne sind, die für noch mehr Palmöl noch mehr Urwälder in Indonesien abholzen wollen. Und wer spricht schon davon, dass der Investitionsschutz mit seinen Klagemöglichkeiten eine deutsche Erfindung ist, 1959 in einem Handelsvertrag mit Pakistan durchgesetzt?

Jetzt gibt es aber eine Reihe von Abkommen, die diesen eurozentristischen Blick nicht mehr zulassen: Die «Economic Partnerships Agreements» (EPAs) der EU mit afrikanischen Staaten. Sie sollen Afrikas Länder zwingen, ihre Märkte weit zu öffnen – für billige, weil subventionierte Lebensmittel aus dem EU-Raum und für hochentwickelte Produkte, die die Entwicklung afrikanischer Volkswirtschaften blockieren. Und die den Import von afrikanischen Rohstoffen garantieren sollen. Um diese EPAs geht es heute Abend.

Der aufstrebende Kontinent

Das Verhältnis EU-Afrika scheint in Bewegung gekommen zu sein. Kaum eine Woche, in der nicht irgendwo eine internationale Tagung zum Thema Afrika abgehalten wird, kaum eine Regierungerklärung, in der nicht von Afrika die Rede ist – und auch immer wieder von dem «Marshall-Plan», der dem deutsche Entwicklungshilfeminister Gerhard Müller vorschwebt. Natürlich gehe es vor allem um die Entwicklung des Kontinents, heißt es da; man wolle Afrika auf die Beine helfen, die Wirtschaft stärken, die Armut bekämpfen, gute staatliche Strukturen aufbauen, die regionale Integration fördern – und nicht zuletzt Fluchtursachen beseitigen. Also die Migration stoppen.

Aber sind das tatsächlich die Beweggründe? Seit anderthalb Jahrzehnten setzt die EU-Kommission alles daran, die Staaten der fünf großen Regionen West-, Zentral-, Südost-, Ostafrika uns Südliches Afrika dazu zu bewegen, den Wirtschaftspartnerschaftsabkommen – also den EPAs – zuzustimmen. Diese Agreements, sie sollen mit allen 77 Staaten der AKP-Gruppe (Afrika, Karibik, Pazifik) abgeschlossen werden, sind zwar seit 2014 weitgehend ausverhandelt. Tatsächlich in Kraft getreten sind jedoch nur die Abkommen mit der Wirtschaftsregion Südliches Afrika und den karibischen Staaten – weil sich in den anderen Regionen noch Regierungen widersetzen.

Diese EPAs sehen eine phasenweise Liberalisierung des Außenhandels vor – gestaffelt nach Warengruppen. Produkte der Gruppe A (darunter alle in Europa erzeugten Waren sowie alle Rohstoffe aus Afrika wie Gold, Mangan, Chrom, Erdöl, Diamanten, Bauxit oder Platin) sollen sofort nach Abschluss der Abkommen ohne jede Einschränkung frei handelbar sein, also keinerlei Zoll- und Mengenbeschränkungen unterliegen. Für die Warengruppen B und C gilt eine Übergangsfrist von 15 beziehungsweise 20 Jahren. Dauerhaft geschützt bleiben lediglich – je nach Land – 13 bis 20 Prozent der afrikanischen Erzeugnisse. Mit anderen Worten: Achtzig und mehr Prozent der in Afrika produzierten Waren werden sofort oder nach einiger Zeit dem transkontinentalen Wettbewerb ausgesetzt. Laut Studien aber sind nicht achtig Prozent der afrikanischen Produkte international konkurrenzfähig, sondern – je nach Region – bloß 15 bis 30 Prozent.

Wie kommt es, dass die EU den Staaten Afrikas solche Bedingungen aufzwingen will? Da hilft ein Blick zurück. Hier ist nicht der Platz, um auf die jahrhundertelange Kolonialherrschaft der imperialistischen Mächte Europas (vor allem Britannien, Frankreich, Belgien, Deutschland, Portugal, Italien) einzugehen. Und auch nicht der Ort, um darüber zu räsonieren, warum Europa nach der Dekolonialisierung den ehemaligen AKP-Kolonialen Vorzugsbedingungen einräumte. Fakt ist jedenfalls, dass die AKP-Wirtschaften ab dem Abkommen von Lomé (Togo) 1975 ihre Produkte zollfrei nach Europa ausführen durften. Dieser Vertrag wurde im Jahr 2000 vom Cotonou-Abkommen ersetzt, das einerseits die regionale Entwicklung fördern und die Armut bekämpfen sollte, andererseits aber das Ziel formulierte, «Afrikas Wirtschaftsgemeinschaften in den globalen Freihandel» zu integrieren – indem bis 2007 neue Wirtschaftspartnerschaften (EPAs) abgeschlossen werden.

Lissabon und die Folgen

Warum dieser Schwenk? Begründet wurde die neue Politik mit dem Argument, dass die Regeln der Welthandelsorganisation WTO Änderungen notwendig machten – eine weither geholte Behauptung, denn die Grundbedingungen für die geplanten EPAs gehen weit über das hinaus, was die WTO verlangt. Die Gründe sind anderswo zu suchen. Beispielsweise in der Lissabon-Strategie der EU. Seit Unterzeichnung des Lissabon-Vertrags im Jahre 2007 stellt die europäischen Union die Stärkung der europäischen «Wettbewerbsfähigkeit» über alles: Die EU und die europäischen Unternehmen sollen weltweit nicht nur konkurrenzfähig, sondern anderen möglichst überlegen sein. Außerdem gilt Afrika als Zukunftsmarkt: Zehn der zwölf wachstumsstärksten Ökonomien liegen auf dem Kontinent, nur Chinas und Indiens Wirtschaften expandieren schneller. Und dann ist da die Konkurrenz der BRICS-Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika): Deren Handel mit Afrika nahm von 2008 bis 2015 um 70 Prozent zu, der europäisch-afrikanische hingehen nur um 35 Prozent.

Die Folgen der EPAs mit ihrer erzwungenen Marktöffnung sind absehbar – beziehungsweise dort, wo Interimsabkommen durchgesetzt werden konnten, teilweise schon eingetreten:

● Tausende von KleinbäuerInnen, Kleinunternehmen und Gewerbetreibende verlieren ihre Existenzgrundlagen; Arbeitsplätze verschwinden; die sich allmählich entwickelnden Industriezweige büssen die Chance ein, neue Produktkapazitäten aufzubauen.

● Auch die Einnahmen der Staaten sinken. Denn mit den EPAs müssen die Regierungen ihre Zölle auf Einfuhren abschaffen oder stark reduzieren. Manche Länder aber erzielen damit heute bis zu vierzig Prozent ihrer Staatseinnahmen – also Geld, mit dem beispielsweise Bildungs- und Gesundheitseinrichtungen aufgebaut und betrieben werden. Weitere Einnahmen fallen weg, da auf die Ausfuhr von heimischen Rohstoffen ebenfalls keine Zölle mehr erhoben werden dürfen.

Breiter Widerstand

Seit Beginn der EPA-Verhandlungen leisteten die AKP- Staaten, so gut sie konnten, Widerstand gegen die europäischen HandelsdiplomatInnen. Um diesen Widerstand zu brechen, setzte die EU mehrere Fristen für die Unterzeichnung der Freihandelsabkommen. Ursprünglich erwartete sie von den AKP-Staaten, die EPAs bis Ende 2007 abzusegnen. Zu dem Zeitpunkt hatten jedoch nur die Karibikstaaten ein vollständiges EPA abgeschlossen.

In den folgenden Abschnitten zitiere ich – zum Teil wörtlich – aus der Studie von Thomas Fritz: «Die EU-Handelspolitik und der Globale Süden», die im November 2017 vom Forum Umwelt und Entwicklung publiziert wurde. Darin heißt es unter anderem: Beim EU-Afrika-Gipfel 2007 traten die Konflikte offen zutage. «Es ist klar, dass Afrika die EPAs ablehnt», schimpfte der damalige Präsident des Senegal, Abdoulaye Wade. Der Präsident der Afrikanischen Union, Alpha Oumar Konaré, kritisierte die Interim-EPAs, da diese «verschiedene afrikanische Regionen gegeneinander ausspielen».

Nach dem dürftigen Ergebnis erhöhte die EU in den Folgejahren den Druck und setzte 2011 eine nächste Frist für den 1. Oktober 2014. Abermals sollten AKP-Länder, die bis dahin kein EPA unterzeichnen, ihre Handelspräferenzen auf dem EU-Markt verlieren. Die Kommission veröffentlichte dazu 2011 einen Verordnungsentwurf mitsamt einer schwarzen Liste von 17 AKP-Ländern, «die nicht die notwendigen Schritte für die Ratifizierung ihrer jeweiligen Abkommen ergriffen haben» und daher ihrer Präferenzen verlieren sollen. Diese Verordnung erhielt 2013 die Zustimmung des Europaparlaments.

Der Verlust der Präferenzen ist für jene AKP-Staaten besonders bedrohlich, die nicht zur Gruppe der 49 am wenigsten entwickelten Länder (LDCs) gehören – derzeit knapp die Hälfte der AKP-Staaten. Während die LDCs weiterhin zoll- und quotenfreien Zugang unter der europäischen Everything-but-Arms-Initiative (alles außer Waffen) genießen, verlieren die Nicht-LDCs ohne ein EPA ihre Zollpräferenzen. Mit dieser Anordnung sorgte die EU für erhebliche Konflikte und trieb einen Spalt zwischen die LDC- und die Nicht-LDC-Länder.

Auflösung gewachsener Strukturen

Zu den besonders eklatanten Lebenslügen der EU-Handelspolitik gehört die Behauptung, sie würde zur regionalen Integration der Entwicklungsländer beitragen. Bereits zu Beginn wurden die AKP-Staaten in sieben Verhandlungsgruppen unterteilt: eine karibische, eine pazifische sowie fünf afrikanische Gruppen. Die afrikanischen Ländern waren gezwungen, sich einer der fünf Verhandlungsgruppen anzuschließen; die eigenständigen Integrationsverbände – in denen ab den 1980er Jahren eine regionale Zusammenarbeit begonnen hatte – wurden dabei unterminiert. So finden sich die fünfzehn Mitglieder der Südafrikanischen Entwicklungsgemeinschaft SADC in vier verschiedene EPA-Gruppen wieder. Nur sieben der SADC-Mitglieder gehören zur Gruppe der südafrikanischen Staaten, die das südafrikanische EPA ratifizierten. Sechs verhandeln in der Gruppe des Östlichen und Südlichen Afrikas (ESA), während Tansania sich in der ostafrikanischen (EAC) und die Demokratische Republik Kongo in der zentralafrikanischen Gruppe findet.

Ähnlich zersplitterte der Gemeinsame Markt für das Östliche und Südliche Afrika COMESA (Common Market for Eastern and Southern Africa). Die sechzehn Mitglieder der COMESA-Freihandelszone tauchen ebenfalls in vier EPA-Verhandlungsgruppen auf. Das ist in etwa so, als hätten die USA als dominante Kraft in den 1960er oder 70er Jahren die Einheit der damaligen Europäische Wirtschaftsgemeinschaft unterminiert, indem sie parallele Wirtschaftsräume durchsetzt.

Die einzigen afrikanischen Integrationsverbände, die die EU bei ihrer EPA-Gruppierung einigermaßen intakt ließ, sind die East African Community (EAC) mit Uganda, Kenia, Tansania, Burundi und Ruanda sowie die Westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft ECOWAS mit ihren fünfzehn Mitgliedsländern. Es ist vielleicht kein Zufall, dass aus diesen beiden Wirtschaftsräumen der größte Widerstand kommt.

Teile und herrsche in Westafrika

Angesichts der anhaltenden Opposition griff die EU zu einem bekannten und während der Kolonialzeiten viel benutzten Kniff – teile und herrsche. Unter dem Druck aus Brüssel unterzeichneten zwei ECOWAS-Staaten – Elfenbeinküste und Ghana – sogenannte Interim-EPAs. Nachdem das Europäische Parlament diese ratifizierte, werden sie seit Ende 2016 vorläufig angewendet. Der Effekt für die regionale Integration ist verheerend. Denn die Interim-EPAs unterlaufen den erst Anfang 2015 eingeführten gemeinsamen Außenzoll der ECOWAS. Dies lässt sich am Beispiel der Hühnchenteile verdeutlichen, die EU-Erzeuger massenhaft auf die westafrikanischen Märkte exportieren und dortige Hühnerhalter um ihre lokalen Absatzmärkte bringen.

Die ECOWAS sieht einen gemeinsamen Außenzoll von 35 Prozent auf den Import von frischen oder gefrorenen Hühnerteilen vor. Ghana hingegen bindet in seinem Interim-EPA gegenüber der EU einen Zollsatz für Hühnerteile von nur 20 Prozent. Noch liberaler fällt das Interim-EPA der Elfenbeinküste aus. Hier gilt ein 20 prozentiger Zollsatz auf Hühnerteile nur noch bis Ende 2022. Ab 1. Januar 2023 greift dann eine vollständige Liberalisierung und der Zollsatz sinkt auf Null. Andere Staaten wie Kamerun haben hingegen – auf Druck von unten – den Import von Geflügel ganz verboten.

Die EU hat damit den höheren gemeinsamen Außenzoll der ECOWAS effektiv außer Kraft gesetzt. Die Folgen können verheerend sein, denn Hühnerteile sind nicht die einzigen Produkte, bei denen die Zollsätze der Interim-EPAs vom ECOWAS-Satz abweichen. Ähnliches gilt für Milch, Gemüse, Kartoffeln und zahlreiche andere Produkte. EU-Exporteure können diese künftig über Ghana oder die Elfenbeinküste auf die westafrikanischen Märkte bringen, wo sie niedrigere Zölle entrichten müssen als in den benachbarten ECOWAS- Staaten.

Noch ist das westafrikanische EPA nicht in Kraft – weil sich Nigeria und Gambia widersetzen. Zu Recht. Nehmen wir MIlchpulver, ein Produkt, das EU-Molkereien in riesigen Mengen nach Westafrika exportieren und das den dortigen FrischmilcherzeugerInen den Absatzmarkt streitig macht. Sollte das Westafrika-EPA durchkommen, muss der Zollsatz auf Milchpulver innerhalb innerhalb von fünf Jahren von den derzeit ohnehin niedrigen fünf Prozent auf Null gesenkt werden.

Zu den EU-Waren, die die westafrikanische Wirtschaft gefährden, gehören viele einfache Güter und Vorprodukte, die sowohl für die Landwirtschaft als auch die Industrie von Bedeutung sind: Düngemittel zum Beispiel, Ernte- und Melkmaschinen, Konserven- und Verpackungsgeräte, Webstühle, Nähmaschinen, Baustoffe, Werkzeuge, Maschinen- und Fahrzeugteile sowie viele Haushaltswaren. In vielen dieser Bereiche gibt es durchaus afrikanische ProduzentInnen, die in der EU sind jedoch zumeist wettbewerbsfähiger. Dazu kommt, dass knapp 2400 sogenannte Zolllinien liberalisiert werden auf Waren, die derzeit noch nicht in Westafrika, wohl aber in der EU hergestellt werden.

Dafür, so rühmt sich die EU, dürften die afrikanischen Staaten einen Teil ihrer Erzeugnisse weiterhin vor Billigimporten schützen – vor allem Agrarprodukte. Die LandwirtInnen der Elfenbeinküste müssen sich also nicht vor französischen Kakaobohnen und jene in GHana nicht vor deutschen Ananas fürchten.

Gegenwehr in Ostafrika

Brüssels EPA-Pläne werden seit Anbeginn an kritisiert. Die EU stelle völlig «übertriebene Anforderungen», urteilten beispielsweise die Regierungschefs der AKP-Staaten auf ihrem Gipfeltreffen in Papua-Neuguinea Anfang Juni 2016. Die Afrikanische Union, eine Vereinigung aller afrikanischen Staaten, lehnt die EPAs ab. Andere kritisieren die EU-Politik schon länger. Schon die IFW-Diktate der 1980er und 1990er Jahre hätten eine eigenständige Wirtschaftsentwicklung erschwert und die Entscheidungsspielräume der Regierungen eingeengt, argumentieren Uno-Organisationen, Hilfswerke und Gruppen wie attac. In vielen Ländern protestierten zivilgesellschaftliche Gruppierungen, Kleinbauernvereinigungen, der Mittelstand. Viele Regierungen zögerten – teils aus grundsätzlichen Erwägungen, teils aufgrund des Drucks von unten. Und so setzte die EU Daumenschrauben an und stellte Ultimaten.

Nachdem der ursprünglich für 2008 vorgesehene Termin ergebnislos verstrichen war, drängte sie auf die Unterzeichnung von Übergangsabkommen und verlängerte die Frist erst bis 2014, dann bis 2016. Sie drohte mit Strafzöllen – und setzte die Drohung auch um. Kenias Regierung zum Beispiel widersetzte sich lange Zeit. Bis im Oktober 2014 die EU Einfuhrzölle auf kenianische Produkte wie Bohnen und Schnittblumen erhob, der Export einbrach und landwirtschaftliche Betriebe bankrott gingen. Drei Monate hielt die Regierung in Nairobi damals stand.

Die anderen ostafrikanischen Staaten Tansania, Burundi und Uganda sind weniger vom Export in die EU abhängig – und behalten als LDC ohnehin die Handelspräferenzen. Dennoch lehnen sie das EPA ab; neben Kenia hat nur Ruanda unterschrieben.

Besonders engagiert zeigt sich derzeit Tansania. Die Gründe liegen auf der Hand: Furcht vor Einnahmeverlusten und der Importkonkurrenz. Ein weiteres starkes Motiv sind die Hürden, die das EPA der industriellen Entwicklung des überaus rohstoffreichen Landes in den Weg legt. Denn Tansanias Präsident hat kürzlich eine Reihe von durchgreifenden Maßnahmen auf den Weg gebracht, um den Rohstoffsektor des Landes unter Kontrolle zu bringen, die Einnahmen aus dem Bergbau zu erhöhen und die inländische Wertschöpfung zu stärken.

So hat Tansania im März 2017 einen Exportstopp auf mineralische Konzentrate verhängt, so verabschiedete das Parlament im Juli 2017 drei Gesetze, die die gesamte extraktive Industrie auf eine neue Grundlage stellen. Der Staat erlangt das Recht, sämtliche Verträge mit Bergbau- und Ölfirmen zu kündigen und nachzuverhandeln. Zu den Vertragsklauseln, die Tansania streichen will, gehört auch das Privileg ausländischer Investoren, internationale Schiedstribunale anzurufen. Die Rohstoffverarbeitung soll soweit wie möglich in Tansania stattfinden. Die Fördereinnnahmen müssen auf Konten tansanischer Banken fließen. Der Staat erhält einen Anteil an allen Bergbauprojekten von 16 bis 50 Prozent. Schließlich erhöhen sich die Bergbauabgaben für Diamanten, Gold und andere Mineralien.

Ein Exportstopp würde genauso gegen die EPA-Regeln verstossen wie Importzölle und Exportsteuern. Außerdem besteht die EU weiterhin darauf, dass nur Ursprungserzeugnisse ungehindert in den EU-Raum gelangen dürfen. Also Mangos: ja. Aber in Tetra-Pak-Kartons angefüllter Mangosaft nicht.Denn die auf diese Weise weiterverarbeitete Frucht – die in Afrika verwendeten Tetra.Paks werden in Indien fabriziert – wäre ja kein Ursprungserzeugnis mehr.

Also hat das tansanische Parlament Ende 2016 die Regierung einstimmig angewiesen, das EPA nicht zu unterzeichnen. Nach einer Expertenanhörung kam der Parlamentspräsident Job Ndugai zu dem Schluss: «Man müsste verrückt sein, um das Abkommen in der jetzigen Form zu ratifizieren.» Tansanias Präsident, John Magufuli, nimmt ebenfalls kein Blatt vor den Mund: «Wir haben das EPA seit langer Zeit diskutiert, aber mir kommt es wie eine weitere Form des Kolonialismus vor.» Dazu kommt, dass das Ostafrika-EPA Investitionsschutzklauseln enthält – also europäischen Konzernen das Recht einräumt, Staaten zu verklagen, wenn sie dem Beispiel Tansanias folgen.

«Definitiv mehr Armut»

«Die EPAs führen zur De-Industrialisierung, zu übermäßigem Wettbewerb, zu Verlusten an Arbeitsplätzen und Einkünften, zur Kapitalflucht, zum Anstieg von Armut und gewissermaßen zum Verlust von Souveränität und einer Zerstörung der Region», sagte Ken Ukaoha auf einer Tagung zu den EPAs, die im Juni 2017 von attac, Brot für die Welt, Germanwatch, Misereor und der Kirchlichen Arbeitsstelle Südliches Afrika organisiert wurde. Deshalb, so der Wirtschaftsanwalt, der Nigeria immer wieder bei WTO-Verhandlungen vertritt, Habe die nigerianische Regierung das Westafrika-EPA nicht unterschrieben. Stattdessen, so Ukaoha, «wollen wir eine Perspektive für unsere Jugend anbieten. Wir wollen, dass sie bei uns bleiben können. Wir wollen sicherstellen, dass die nicht abhängig von Europa sind, nicht durch Wüsten gehen, über Berge steigen oder das Mittelmeer in einem Boot überqueren müssen.»

«Wo sollen die vielen Jugendlichen in den Städten Arbeit finden», fragte auf der Veranstaltung Yvonne Takang, Generalsekretärin einer Bürgerrechtsorganisation in Kamerun. Das Interims-EPA, das Kamerun im Juli 2014 ratifiziert hat, sei ein «Desaster» für das Land – sowohl im Hinblick auf die Entwicklung der Landwirtschaft als auch für die Integrationsprozesse des regionalen Wirtschaftsraums. Das EPA würde definitiv zuu mehr Armut führen, sagte Takang. «Was haben wir denn anzubieten? Selbst wenn die EU ihre Märkte zu tausend Prozent für uns öffnen würde, haben wir kaum Produkte, die wir verkaufen können. Die EU hingegen hat alle Möglichkeiten, unsere Märkte zu überschwemmen.» Deshalb «hat sie uns achtzig Prozent Marktöffnung aufgezwungen».

Also werden auch junge KamerunerInnen anderswo ihr Glück suchen. Und sollte ihre Flucht glücken, in die die EU die Jugendlichen treibt, landen sie vielleicht auf Plantagen, wo – wie etwa in Italien – Tomaten angebaut werden. Die dann in Form von eingedostem Tomatenmark auf afrikanischen Märkten landen. (pw)




Vortrag im Café Mondial

Der obenstehende Text ist die nur leicht überarbeitete Fassung eines Vortrags, den ich am 27. September im Konstanzer Café Mondial gehalten habe.