Griechenland: Ausbruch aus der Umzingelung

Pokern auf hohem Niveau

4. Februar 2015 | Seit Syrizas Wahlerfolg hat europaweit eine Debatte begonnen, die die deutsche Regierung unbedingt vermeiden wollte: über die Austeritätspolitik und ihre beinharten VerfechterInnen in Berlin.

Wenn nicht alles täuscht, erlebt Europa derzeit eine bemerkenswerte Selbstdemontage: Deutschland schmollt sich in die Isolation. Die Regierung (SPD inklusive) lehnt alle Kompromisse ab; der deutsche EU-Kommissar Günther Oettinger nennt Grienchenlands Bitte um etwas Luft «frech und unverschämt»; und die an einseitigen Kampagnen wahrlich nicht arme deutsche Medienindustrie ereifert sich über Athens «bockige» «Chaotentruppe» und den «Albtraum und Geisterfahrer» Alexis Tsipras.

Möglicherweise hat die deutsche Empörung damit zu tun, dass die neue griechische Regierungspartei Syiza in ihrer kurzen Amtszeit bisher viel Richtiges beschlossen hat: Sie stösst den kostenspieligen Fuhrpark der Vorgängerregierung ab. Sie will die fortlaufenden Privatisierungen stoppen und hat die Leitung der Privatisierungsbehörde abgesetzt. Sie plant die Wiedereinstellung von Staatsangestellten wie etwa jener Putzkräfte, die seit ihrer Entlassung vor anderthalb Jahren vor dem Parlament protestieren und dabei manchmal Polizeiattacken ausgesetzt waren (die frühere Regierung hatte an ihrer Stelle ein Subunternehmen beauftragt, das teurer war als die Beschäftigten).

Sie rangelt auch mit dem rechtskonservativen Koalitionspartner Anel um Erleichterung für MigrantInnen und hat nun der Troika die Tür gezeigt – allerdings nicht den Vorständen der Troika-Institutionen Europäische Zentralbank, EU-Kommission und Internationaler Währungsfonds, sondern deren technokratischen Statthaltern, die in Athen die Kürzung des Mindestlohns anordneten, Gesetzesvorhaben ablehnten und manchmal auch einfach verlangten, das Parlament zu übergehen.

Deutsche Schulden

Ziemlich sicher empört hat in Berlin, dass Syriza immer wieder auf eine besondere deutsche Schuld hinweist. Nur Stunden nach seiner Vereidigung legte der neue Ministerpräsident Tsipras Rosen vor ein Denkmal, das an die Exekution von 600 griechischen WiderstandskämpferInnen erinnert. Während der deutschen Besatzungszeit 1941 bis 1944 hatten Nazis und Wehrmacht in Griechenland rund 90.000 Menschen ermordet, weitere 58.000 griechische Jüdinnen und Juden wurden in die Gaskammern verschleppt.

Eine Entschädigung für die Familien der Opfer und die Zerstörungen gab es bisher kaum, fast alle Reparationsforderungen hat Berlin brüsk abgewiesen – zuletzt im Jahr 2000. 1997 hatte ein griechisches Gericht die Klage von 269 Überlebenden und Angehörigen der Opfer des SS-Massakers von Distomo (1944) gutgeheissen und Deutschland zur Zahlung von rund dreissig Millionen Euro verurteilt. Die deutsche Regierung legte Berufung ein, der oberste Gerichtshof bestätigte das Urteil. Doch statt zu zahlen, übte Berlin (federführend dabei: Joschka Fischers Aussenministerium) so lange Druck aus, bis die Sache vom Tisch war.

Auch eine Rückzahlung jener Zwangsanleihe, die das Deutsche Reich 1942 der damaligen griechischen Zentralbank aufzwang (seinerzeit 476 Millionen Reichsmark, heute umgerechnet rund sieben Milliarden Euro ohne Zinsen), lehnt Berlin ab. Und widersetzt sich nun der von Syriza erhofften europäischen Schuldenkonferenz, die jener Londoner Schuldenkonferenz ähneln könnte, die 1953 die deutschen Schulden strich. Den Deutschen, so argumentierten Syriza-VertreterInnen während des Wahlkampfs, seien trotz zweier Weltkriege und Holocaust ein Marshallplan genehmigt worden. Warum also nicht ihnen?

«Je suis Greek»

Zu Syrizas Stärke gehört ihre unerschrockene Ministerriege – auch wenn ihr, ein grosses Manko, nur Männer angehören. So ist der parteilose Wirtschaftsprofessor Yanis Varoufakis, jetzt Finanzminister, ein exzellenter Fachmann, der zusammen mit Stuart Holland (Britannien) und James K. Galbraith (USA) einen sehr vernünftigen, pragmatischen «Bescheidenen Vorschlag zur Lösung der Eurozonen-Krise» vorlegte. Und ein Deutschland-Hasser ist er schon gar nicht. Ebenfalls 2013 schrieb er in einem Blog, dass Europa kein autoritäres, aber ein «hegemoniales Deutschland» brauche, das die anderen EU-Staaten nicht mit ökonomischer Gewalt niederringt, sondern am Wohlstand teilhaben lasse.

Dieser Varoufakis tourt derzeit durch die europäischen Hauptstädte – und trifft auf viel Verständnis. Auch Tsipras ist unterwegs. Die französische Regierung will die griechische Regierung unterstützen, EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hält die Troika plötzlich für reformbedürftig, selbst der britische Schatzkanzler George Osborne sagte, dass es so nicht weitergehen dürfe. Seit Syriza nicht mehr direkt einen Schuldenschnitt verlangt (sondern eine an das griechische Wirtschaftswachstum gekoppelte Rückzahlung und Anleihen von unbegrenzter Laufzeit), finden ihre Sprecher fast überall offene Türen.

Denn alle wissen: Wenn sie sich – wie Berlin – auf die bisherigen Vorgaben der Kreditvergabe versteifen, sind ihre Milliarden perdue. Und sie wissen auch, wer durch aggressive Wettbewerbsorientierung und Niedriglohnpolitik erheblich zur Destabilisierung der Eurozone und zur griechischen Misere beigetragen hat. Gleichwohl hält Deutschland an seiner starren Haltung fest. Dabei tut sich insbesondere Finanzminister Wolfgang Schäuble hervor, der in seiner Zeit als CDU-Bundesvorsitzender eigenen Erfahrungen mit Schwarzgeld und dubiosen Parteispenden gemacht hatte. Ihn fordern nun die InitiatorInnen des «Appells von Deutsch-Griechen und Griechen-Deutschen» in einem offenen Brief auf, die desaströse Politik zu beenden.

Aber Schäuble denkt nicht daran, vorerst jedenfalls nicht. Denn noch ist nicht sicher, ob Fraport – die Betreibergesellschaft des Frankfurter Flughafens – auch tatsächlich die vierzehn griechischen Regionalflughäfen übernehmen kann, für die das Unternehmen im November 2014 den Zuschlag bekam. Unter den vierzehn sind so wichtige Destinationen wie Kreta, Rhodos und Tessaloniki.

Während Tsipras und Varoufakis auf hohem Niveau pokern, fand der zunehmende Widerstand gegen die Austeritätspolitik am Samstag auch auf Spaniens und Irlands Strassen einen Ausdruck: In Madrid folgten rund 150.000 Menschen einem Aufruf der jungen Partei Podemos. Und in Irland kam es an Dutzenden von Orten zu Demonstrationen und Kundgebungen gegen die einst von der Troika empfohlene neue Wassersteuer. «Je suis Greek» stand auf einem der vielen Transparente. (pw)