Nachruf auf Brian Haw (1949-2011)

Staatsfeind mit Gewissen

23. Juni 2011 | Kaum irgendwer hat den Unterschied zwischen Protest und Widerstand so eindrücklich vor Augen geführt wie der britische Kriegsgegner Brian Haw.

Vielleicht kehrt er ja doch wieder zurück zum Londoner Parliament Square – nicht leibhaftig, aber als Mahnmal dafür, dass auch die Kleinen den Grossen Paroli bieten können. Brian Haw, der am vorletzten Samstag starb, habe ein «beeindruckendes Beispiel für die Möglichkeiten des friedlichen Dissens in einer Zeit erodierender Bürgerrechte» geliefert und sei «eine politische Inspiration für viele» gewesen (siehe den Artikel Sechs Jahre am Megafon). So begründeten Anfang vergangener Woche sechs linke Labour-Abgeordnete ihren Antrag, dem Dauerdemonstranten Haw ein Denkmal zu setzen. Grosse Chancen dürfte ihr Vorstoss allerdings nicht haben, auch wenn er von vielen Labour-AktivistInnen und Grünen unterstützt wird – dafür war Haw den VertreterInnen des politischen Establishments viel zu verhasst.

Denn fast zehn Jahre lang rief ihnen der hagere Mann ins Gedächtnis, was sie anderen antun, und er tat dies dort, wo ihn niemand überhören konnte. Am 2. Juni 2001 hatte sich der Arbeiter und Vater von sieben Kindern mit einem Plakat, einem Campingstuhl, einem Zelt und einem Megafon auf dem Parliament Square direkt vor dem Unterhaus niedergelassen und lautstark gegen die Sanktionen gewettert, die die Regierungen der USA und Britanniens gegen den Irak verhängt hatten: «Jeden Tag sterben Hunderte irakischer Kinder!», «Bush und Blair sind Babykiller!» Richtig ernst nahm ihn anfangs niemand. Doch das änderte sich, als US-Präsident George Bush und der britische Premier Tony Blair den Irakkrieg lostraten und Haws Forderungen wie «Verurteilt den Kriegsverbrecher Blair!» in der Gesellschaft wie im Unterhaus Widerhall fanden.

Hartnäckiger Headbanger

Er wolle nur irgendwann einmal seinen Kindern gegenübertreten und sagen können: «Ich habs zu verhindern versucht», sagte mir der überzeugte Christ vor sieben Jahren. Danach habe ich ihn immer wieder besucht, und oft erinnerte er daran, dass sein Vater als einer der ersten britischen Soldaten die Überlebenden des deutschen KZ Bergen-Belsen gesehen habe und über diese Erfahrung nie hinweggekommen sei. Der Vater nahm sich das Leben, als Brian dreizehn Jahre alt war.

Schrullig sei er, ein «Headbanger», der mit dem Kopf gegen die Wand laufe, ein bekloppter «Nutter», urteilten die Medien – und Haw kam ja auch schräg daher mit seiner Mütze in Form eines Stahlhelms, an die er unzählige Buttons geheftet hatte. Was den politischen Mainstream aber besonders irritierte, war seine Hartnäckigkeit. 2003 wurde ihm gleich zweimal die Nase eingeschlagen (einmal von einem Angestellten der Londoner US-Botschaft, einmal von einem Polizisten). Kurz danach liess ihn der konservative Stadtrat von Westminster festnehmen: Seine Plakate mit Fotos verhungernder und verstümmelter irakischer Kinder seien «unerlaubte Werbung». Ein High Court sprach ihn frei, und doch nahm ihn immer wieder die Polizei fest und riss seine Transparente ab.

Das Haw-Sondergesetz

2005 bastelte die damalige Labour-Regierung gar einen auf Haw gemünzten Paragrafen in ihr neues Gesetz gegen das organisierte Verbrechen, um ihn loszuwerden - vergebens, wie später ein Gericht urteilte: Er habe seine Kundgebung bereits vor Inkrafttreten des Gesetzes begonnen, daher sei es nicht auf ihn anzuwenden. Trotzdem hörten die Schikanen nie auf – nicht 2006, als die ZuschauerInnen des TV-Kanals Channel 4 Haw zur inspirierendsten Person des Jahres wählten (weit vor Blair und David Cameron), nicht 2007, als Mark Wallinger für seine Rekonstruktion von Haws beschlagnahmten Postern, Fotos und Friedensfahnen den renommierten Turner-Kunstpreis gewann.

Fast zehn Jahre lang, Tag um Tag, Nacht für Nacht, hielt Haw auf dem Parlamentsplatz aus. Lange Zeit campierte er allein im Dauerregen, in der Sommerhitze, bei klirrender Kälte. Den vielen BesucherInnen gab er gerne Auskunft; er begrüsste es auch, wenn sich andere in seinem Camp niederliessen. Weniger gut zu sprechen war er aber auf die britische Friedensbewegung: Wenn von den zwei Millionen, die im Februar 2003 in Britannien gegen den Irakkrieg demonstrierten, 100.000 nur eine Woche lang auf dem Parliament Square geblieben wären, dann – so meinte er – wäre es nie zum Krieg gekommen. Womit er wohl recht hatte. Er hingegen hielt durch, trotz aller Widrigkeiten, die seinen Körper schwächten. Der kleine Brian Haw , den die grosse britische Politik nicht bezwingen konnte, starb am 18. Juni 2011 in einem deutschen Spital an Lungenkrebs. (pw)