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Suburban Farming in Südafrika

Auf dem Weg zur Agro-City

26. September 2017 | Die meisten ExpertInnen sind sich einig: Nirgendwo in Afrika ist die Landflucht rückgängig zu machen. Also müssen neue Konzepte her – wie die Agrocity, in der Stadt und Land verschmelzen. In der Region von Kapstadt gibt es erste Ansätze.

Stolz ist der schlaksige Mittdreissiger mit dem breitkrempigen Hut, sehr stolz sogar. Hier in Green Point, einem der ärmsten Quartiere der Township Khayelitsha, hat Sweet Boy Mdani etwas aufgezogen, um das ihn viele beneiden. Er steht vor seiner Hütte, um ihn herum nur Blech- und Holzbuden, dazwischen staubige Wege und hohe Zäune, alle hundert Meter eine Wasserstelle.

Grau ist das Viertel, und staubig. Nur bei ihm, vor den zwei Zimmern mit dem uralten Fernseher, dem zerschlissenen Sessel, einem Herd, einem Tisch und dem breiten Bett im zweiten Verschlag, ist alles grün. «Hier habe ich Spinat gepflanzt», erläutert der Tagelöhner, «dort drüben wächst der Brokkoli, der Kohl kommt ganz gut, die Rote Beete gedeiht, die Ackerbohnen versprechen eine gute Ernte und den Sellerie kann ich bald verkaufen.»

Ein Großteil der Beete wird auf Kopfhöhe von Sackleinen überspannt, der brennenden Sonne wegen. Früher, erzählt Mdani, habe er auch schon mal gegärtnert, das war in der Provinz Eastern Cape. Aber da kannte er nur Gurken, Kohl und Mais. Und von den Pflanzen habe er eigentlich keine Ahnung gehabt. «Jetzt aber weiß ich, wie tief so ein Beet in den Boden reichen muss, dass Fruchtwechsel wichtig ist, aus Kompost bestehen sollte – und dass es ohne Kunstdünger geht.» Mit dem Gemüse, das auf den vielleicht fünfzehn Quadratmetern wächst, kann er sich selber, seine Frau und ihre drei Kinder ernähren kann. «Oft kommen auch Leute vorbei, denen ich was verkaufen kann.» Setzlinge zum Beispiel, elf Stück für sieben Rand, umgerechnet 50 Euro-Cent. Oder eine Handvoll Spinat für acht Rand. «Für acht Rand kann ich ein Brot kaufen», sagt Mdani.

Zwei Kilometer weiter weg lebt Cynthia Foko in einem etwas besseren Viertel. Ihr kleines Haus hat gemauerte Außenwände, ein schmiedeeisernes Gitter schützt den Eingang, die Fenster haben eine stabilen Rahmen. An der Wand stapeln sich Plastikflaschen. «Wasser ist unser Hauptproblem», erläutert sie auf dem Weg zu ihrem kleinen Garten hinter dem Haus, «also halte ich mir einen Vorrat». Den braucht die 52-Jährige mit dem Strohhut und der rosaroten Schürze für die vielen Nutzpflanzen, die hinter dem Haus aus Beeten, Eimern, Flaschen und einer ehemaligen Tiefkühltruhe sprießen. An der schrägen Betonwand zum Nachbarn lehnen alte Autoreifen, die sie demnächst als Beetumrandung einsetzen will.

Wie Mdani ist Joko jeden Tag mehrere Stunden im Garten zugange. Wie Mdani ernährt sie fünf Menschen von selbst angebautem Spinat, von Karotten, Erbsen, Salat, Rüben und dem Erlös ihrer Verkäufe. Wie er steht sie inzwischen im regen Kontakt zu den Nachbarn, die immer wieder vorbeischauen. Und wie Mdani verdankt sie ihre Kenntnisse der Initiative Soil for Life. «Früher kannten wir viele Kräuter nicht und wussten auch nichts von deren Wirkung», sagt ihre Nichte Amanada, die an der University of Cape Town studiert und regelmäßig aushilft.

Die Slums der Apartheid

Mdanis und Jokos Gemüsegärten sind mehr als nur grüne Tupfer im mehrheitlich trostlosen Khayelitsha, der – wie manche sagen – am schnellsten wachsenden Township Südafrikas. Ihre Eigeninitiative und die vieler anderer HausfarmInnen ist auch ein Beispiel für die wachsende Selbstachtung in diesem Slum rund dreißig Kilometer östlich von Kapstadts Zentrum. Und was in ihnen steckt, wenn sie die Mittel zur Selbstverantwortung geboten bekommen.

Zwischen 600 000 und 1,5 Millionen Menschen leben hier, so genau weiß das niemand, und über die Hälfte der Erwerbsfähigen ist ohne ordentlichen Job. Das gilt auch für die anderen Townships bei Kapstadt. Neben Khayelitsha («Neue Heimat») erstreckt sich am Indischen Ozean Mitchells Plain (rund 400.000 EinwohnerInnen), weiter nördlich, beim Flughafen, liegt Delft (Bevölkerung: etwa 300.000), westlich davon folgen Gugulethus (100.000), Bonteheuwel (50.000), Bishop Lavis (50.000). Sie alle sind während der letzten fünfzig Jahre entstanden, als das Apartheid-Regime die Menschen zu segregieren begann, die schwarze Bevölkerung aus der Innenstadt verbannte, MigrantInnen vor dem Zentrum auffing. Und alle sind – trotz der Armut – keinen bloßen Slums, keine amorphe Ansammlung von Elendshütten, sondern urbane Gemeinschaften mit Geschäftsbezirken, öffentlichen Einrichtungen, besseren Quartieren, Macht- und Ausbeutungsstrukturen. Und eigenen Initiativen.

«Tu, was du kannst. Tu es jetzt»

Eine dieser Initiativen hat vor über fünfzehn Jahren Pat Featherstone entwickelt: Die Non-Profit-Organisation Soil for Life mit Sitz im vorwiegend weißen, wohlhabenden Weinbauviertel Constantia am Rande von Kapstadt. Hier kam die Idee zu einem Urban-Farming-Projekt auf, das der entwurzelten Bevölkerung der Townships Halt geben soll. «Wenn man weiß, wie es geht, ist auch mit bescheidenen Mitteln viel zu erreichen», sagt Featherstone. «Die Menschen können sich mit gesundem Essen versorgen, ihre Umgebung aufwerten, das Gemeinschaftsgefühl stärken und ihr Potenzial entdecken.» Featherstone steht im großen Schulungsgarten von Soil for Life und demonstriert, wie wenig es für einen guten Bio-Kompost braucht («Küchenabfälle, alte Blumen, Kaffeesatz, Knochen, Federn, Asche und Erdwürmer»), dass praktisch alles recycelt und verwendet werden kann («mit ausgedienten Blechkanistern, Eimern oder Plastiktüten lassen sich auch vertikale Gärten anlegen») und was das alles kostet: praktisch nichts.

«Beginne, wo du bist. Nutze, was du hast. Tu, was du kannst. Tu es jetzt» – Featherstones Motto hat sich auch Fran Fredericks zueigen gemacht. Die 58-Jährige arbeitete lange Jahre im Sozialbereich (Drogen-, Obdachlosen-, HIV-Beratung und Krebshilfe für Frauen), bevor sie bei Soil for Life einen Schulungskurs besuchte, zu gärtnern anfing und ihr Wissen weitergab. Jetzt ist sie als Programmleiterin zuständig für die umfangreiche Ausbildung. «Unsere Trainer informieren die freiwilligen Teilnehmer über die Grundlagen des Gemüseanbaus, unterrichten sie über organische Düngemittel, jäten mit ihnen und besuchen mit der Gruppe jeweils die Gärten der anderen», erläutert sie in ihrem Büro am Eingang des Schulungsgartens.

Vier Trainer und ebenso viele Assistenten schulen jeweils für drei Monate meist über ein Dutzend Wissbegierige, sie verteilen Saatgut und Handbücher, besichtigen reihum die ersten Versuche. In den letzten fünf Jahren legten rund 3000 Township-BewohnerInnen einen Garten an. «Die meisten sind Frauen», sagt Fredericks, «und nur ein Bruchteil von ihnen hat wieder aufgegeben».

Das Potenzial der Initiativen

Soil for Lifes Konzept entspricht in Ansätzen dem Entwurf einer Agrocity, den der kürzlich verstorbene Theologe, Entwicklungssoziologe und Journalist Al Imfeld in seinem zu Jahresbeginn veröffentlichen Essayband «Agrocity – die Stadt für Afrika» skizzierte. Ausgehend von der Überlegung, dass die Landflucht nicht rückgängig zu machen ist – mittlerweile leben sechzig Prozent der afrikanischen Bevölkerung in Städten – entwickelte Imfeld die Grundzüge einer lebenswerten und lebensfähigen neuen Urbanität: Polyzentrisch angelegte Metropolen, die auf einer Mischökonomie von städtischen Produktionsweisen, Landwirtschaft und (Tausch-) Handel basieren, gemeinschaftlich organisiert sind und neue Ökosysteme (vertikale Begrünung, Nutzpflanzenanbau, Wasserrecycling) fördern.

Südafrika, schreibt Imfeld, «hätte die beste Ausgangslage, um eine Agrocity zu planen», und die Kapregion sei besonders gut dafür geeignet, weil hier der Boden weniger vergiftet ist als unter den 250 Minen-Townships des Landes, die für die Bergarbeiter und ihre Familien auf verseuchtem Abraum errichtet wurden. Eine «vielfältige landwirtschaftliche Nutzung» der großen und kleinen Flächen sowie die diversen Kulturen und Traditionen der indischen und südostasiatischen Einwanderung, der San und Khoi (die ursprünglich in der Kapregion siedelten) und der heutigen MigrantInnen aus dem südlichen Afrika könnten den Townships eine eigenständige Identität verleihen.

In diesen Städten, so Imfeld, «liegt ein großes Potenzial an Wissen und Initiativen brach, das Architekten und Planer, aber auch Hilfswerke viel besser nutzen könnten als bisher».

Die Hilfslehrerin

In Mitchells Plain, der Township neben Khayelitsha, hat Avril Isaacs ihren kleinen Vorgarten zu einem Schaustück ausgebaut, das sie gerne zeigt. Früher habe es hier so ausgesehen wie beim Nachbarn, sagt sie und zeigt über die Mauer: «Alles war öde und grau». Aber jetzt verweisen handgeschriebene Zettel auf eine neue Ordnung. «Water Bank» steht auf dem Schild, das auf einem Stapel Plastikflaschen liegt. Den Hinweis «Succulants» hat sie neben ausgediente Schuhe und hängende Blumentöpfe geheftet, aus denen Aloe Vera sprießen. Die Aufschrift «Seed Bank» hängt über einer Batterie Setzlinge.

«Hier wächst das ganze Jahr über was, wir ernten jeden Tag und essen kaum noch Fleisch», erläutert Isaacs, 60 Jahre alt, die sich fleischlose Mahlzeiten früher kaum vorstellen konnte. Mit den Schnecken kommt sie dank der Schulung gut zurande. «Das Beste aber ist, dass der Garten unser Leben völlig verändert hat.» Bis zur Begrünung habe ihr Mann jeden Tag getrunken, meist billigen Fusel – wie viele Township-BewohnerInnen. «Dann aber begann er sich wieder für das Leben zu interessieren. Jetzt geht er einer bezahlten Arbeit nach und kauft statt billigem Whisky Solarleuchten für den Garten.»

Auch Magda Campbell hat eine dramatische Änderung hinter sich. Siebzehn Jahre lang war sie Produktionsleiterin in einem Großbetrieb gewesen, bis ihr der Job «zu langweilig wurde», wie sie es formuliert. Sie nahm ein Studium der Agrarwirtschaft auf und blieb gewissermaßen im ersten Praktikum hängen: dem großen Nutzgarten der Sonderschule Beaconvale. Schon der ersten Woche habe sie sich mit SchülerInnen unterhalten, sie nach ihren Zukunftsplänen befragt und zu ihrer Verblüffung festgestellt, «dass sie vor dem Nichts stehen». Also beschloss sie, den behinderten Jugendlichen «die Welt ein bisschen zu öffnen».

Mittlerweile bietet sie wöchentlich Lernnachmittage für die Klassen an, zwei Schüler gehen ihr regelmäßig zur Hand, die Nachbarschaft wird zu Tagen des offenen Gartens eingeladen, die biologisch angebauten Salate und das Gemüse des rund 1500 Quadratmeter großen Grundstücks stehen auf dem Speiseplan der Schulkantine. «Ich wurde auch schon gefragt, ob ich dasselbe nicht für andere Schulen aufziehen könne.»

Aber das sei dann doch ein bisschen viel verlangt. Die 55-Jährige mit der Baseballmütze arbeitet ohnehin schon oft von morgens bis abends hier. Geld dafür bekommt sie keins. Selbst die dringend benötigten Beschattungsnetze wird sie selber besorgen müssen. «Irgendwie bekomme ich das schon hin», lächelt sie. Woher ihr Engagement? «Ich habe das Gefühl, dass jetzt die Zeit gekommen ist, der Gesellschaft etwas zu geben.»

Al Imfeld hätte das gefreut. (pw)


Literaturhinweis: Al Imfeld: «Agrocity – Stadt für Afrika. Skizzen zu einer neuen Urbanität». Rotpunktverlag Zürich. 2017.